Dieser für viele so herrlich sonnige Sommer hat leider auch tiefe Wunden hinterlassen. Noch nie war ich in einem Halbjahr so oft als Trauerbegleiterin unterwegs. Immer wieder werde ich gefragt, wie ich das überhaupt selbst aushalte, warum ich diesen Teil meines Berufes so wichtig finde und er eine Herzensangelegenheit ist.
Trauer ist die ehrlichste Art der Begegnung
Der Tod ist ein Arschloch. Da ist nichts daran zu rütteln. Immer wenn ein Mensch von jetzt auf nachher aus dem Leben gerissen wird, steht die Welt der Verlassenen still. Alles scheint entrückt, besonders in einem Sommer, in dem die Menschen die Sonne zelebrieren und der Grillgeruch und das Gelächter der im Schein des Feuers zusammensitzenden Menschen durch alle Ritzen kriecht. Die Welt für alle anderen dreht sich unbeirrbar weiter. Nur für den Trauernden selbst nicht.
Mit einem Anruf auf meinem Geschäftshandy verändert sich auch für mich als Trauerbegleiterin von einem Moment zum anderen vieles. Klar, nimmt mich jeder Abschied mit. Dennoch sehe ich es als meine Herzensaufgabe, den Hinterbliebenen Hoffnung, Trost und noch mehr Zuversicht zu schenken. Einfach für sie da zu sein. Auszuhalten. Trösten, wo Trost schier unmöglich scheint.
Dabei darf ich an Situationen teilhaben, die auf den ersten Blick furchtbar traurig und unerträglich sind. Dennoch öffnet die Trauer nach und nach unbekannte Türen: Sie lässt durch tiefe Gespräche, Tränen, Stille, aber auch gemeinsame Erlebnisse, Bekanntschaften und (magische) Begebenheiten etwas Unbeschreibliches wachsen, das neben der tiefen Traurigkeit den Weg der Hoffnung ebnet. Der eine Heilung möglich macht. Und Trauernde wachsen lässt. Dies mit erleben zu dürfen, ist für mich ein Geschenk. Ein Geschenk des Lebens.
Wie lange und wie trauert man richtig?
Es gibt kein richtig oder falsch. Meiner Ansicht nach eh nie im Leben. Und besonders nicht im Umgang mit dem Tod. Wichtig ist, dass man sich von klassischen Modellen lösen kann und seinen individuellen Weg – nicht aus der Trauer sondern mit der Trauer – findet. Zurück ins Leben mit einer klaren Verabschiedung vom physischen Sein und dem Wissen, dass immer eine einzigartige Verbindung mit dem Toten bestehen kann und darf. Denn Menschen, die einem im Leben wichtig waren, bleiben dies auch nach ihrem Tod.
Diese Verbindung kann auf unterschiedlichste Weise gelebt werden. Muss eben aber auch nicht.
Manche Hinterbliebene berichten mir, dass sie den oder die Verstorbene um Rat bitten. Zwiesprache halten. Unter der Dusche oder alleine im Wald. Viele berichten mir von der Kraft und den Trost, den sie dabei erfahren. Denn so können sie auch nach dem Tod ihr Herz erleichtern. Miteinander lachen, Rituale weiterhin feiern. Sich über den Tod hinaus geliebt fühlen. Von gemeinsamen Erinnerungen getragen.
Manche berichten mir, dass sie Gegenstände und Bilder des Verstorbenen (noch?) nicht tragen können. Müssen sie auch nicht. Denn die Trauer holt sich eh das, was sie in diesem Moment von einem braucht. Für den Einen ein T-Shirt mit dem Geruch des Verstorbenen, für die Andere ein neu gestaltetes Schlafzimmer, frei von gemeinsamen Erinnerungen.
Verrückt?
Mit dem Tod beginnt eine Welt des Ver-RücktSeins. Freundschaften können durch dieses Ereignis neu gemischt werden. Auch hier kann und darf es sein, dass sich viel verändert und ver-rückt. Manche Menschen können mit dem Thema Tod umgehen und die Trauernde oder den Trauernden – oft umgeben von einem unsichtbaren Mantel des Todes – unterstützen, in dem sie einfach da sind. Manchen Bekannten ist dies nicht möglich. Der Tod macht so viel mit ihnen selbst, dass sie an die eigenen Grenzen geraten. Verrückt oder? Aber auch dies darf sein.
Trauer endet nie ganz und das ist okay. Denn Trauern ist wie eine Tätowierung, die immer Teil des Hinterbliebenen sein wird. Zu Beginn mit scharfen Konturen, voll schwarzer Farbe, anfangs gehegt, gepflegt, geschützt und eingecremt. Dann immer mehr integriert, angepasst – zuweilen in der Sommerbräune auch mal verblasst. Aber immer Teil des Ganzen. Und das ist gut so.
In diesem Sinne: Genießt das Leben, die Liebe und Freundschaft. Immer und über den Tod hinaus.