Was unterscheidet unser Leben von heute von den früheren Generationen? Klar, da fällt jedem von uns was ein. Aber bitte nicht: Früher war alles besser. Oder sicherer.
Unser Veränderungstreiber Nummer eins sind, denke ich, die neuen technischen Möglichkeiten: Internet, Kommunikation, Verkehr. Diese wiederum eröffnen scheinbar unendliche Möglichkeiten von Freiheit, Unterhaltung, Unabhängigkeit sowie der Möglichkeit der eigenen Entfaltung und einem noch nie da gewesenen Wohlstand. Zumindest in unseren Industrieländern.
Halleluja
Ihr merkt schon, dieser Post wird wieder ein eher harter Brocken. Dabei habe ich euch doch schon mit dem letzten Blog über den Tod ganz schön gefordert. Also seid ihr ja im Training, ab dafür! Genau so, wie wir uns beim Thema Tod von den vergangenen Generationen unterscheiden, die dieses Thema als Großfamilie ins Leben integriert hatten, möchte ich heute auf den zweiten, unsichtbaren Riesen verweisen: die Verbindlichkeit.
Der Schatten der Verbindlichkeit ist das neue schlechte Gewissen
Nach Wikipedia verbirgt sich hinter der Verbindlichkeit ein Sozialverhalten, auch Tugend genannt, zwischen Menschen. Bisher doch ganz nett, oder? Sozial sind wir doch alle irgendwie ein bisschen, oder? Doch nun wird es spannend: Verbindlichkeit benötigt leider auch ein wenig Konsequenz, Ausdauer beziehungsweise Standhaftigkeit, mit der eine Person – teils unter widrigen Umständen – zu einer Zusage oder einem Versprechen steht, die sie einer anderen Person oder anderen Personen gemacht hat. Da haben wir den Salat, auch ohne Moralapostel, den ich heute nicht gefrühstückt habe. Was sich mir stellt, ist die Frage, warum wir uns heute in Vielem auf den ersten Blick so schwer tun mit der Verbindlichkeit. Schließt sie konsequent das Gefühl von Freiheit aus?
„Frohe“ Weihnachten mit der Großfamilie?
Viele Klientinnen und Klienten berichten mir – gerade zu Weihnachten – von der großen Last, Weihnachten mit der Familie zu feiern. Von „Fest“ ist da eher wenig die Rede: die Angst vor Streit, langjährigen Zwisten, der Last der ewigen „Kinder“, den Eltern nicht gerecht werden zu können. Auch bei uns gibt es so einige falsche Hasenbraten und Fettnäpfchen zu Weihnachten. Auch Tränen, da immer jemand fehlen wird. Trotzdem gehört es für mich dazu. Mit allem Drum und Dran. Gerade deshalb – weil das mein Zuhause ist, meine Heimat. Weil hier Menschen sind, die mich kennen, jeden Winkel und jede Schwachstelle. Bei denen ich „ich“ sein kann. Und dies auch versuche, der ganzen Sippe so zuzugestehen. Mit ganzem Herzen, voller Liebe und innerem Frieden, wenn pünktlich um 19 Uhr wieder die Blockflöte herausgekramt wird und voller Inbrunst und in allen vorhandenen Tonarten auf einmal „Oh Du fröhliche“ geträllert wird. Mit einer Herzenssippe, bei der einer den Blick nicht vom Essen lassen kann, voll Sorge, nicht satt zu werden. Mit lauernden Themen, die zwar mit jedem Gläschen Wein wichtiger werden, aber so gänzlich unpassend zu Weihnachten sind. Und einem kleinen Team außenrum, das versucht, die gefährlichsten Klippen zu umschiffen und eh nur Geschenke auspacken möchte… Und ich. Mittendrin. Voll Dankbarkeit. Ein oldschool „Memento mori“ oder ganz swag ausgedrückt ein „Moment der Achtsamkeit“. Dem die Verbindlichkeit plötzlich nicht mehr im Weg stehen muss. Wenn gar nichts mehr hilft… dann Prost. Morgen ist die italienische Sippe dran. Ich sag’s euch…
In diesem Sinne: Kommt gut, gesund und mit oder ohne Sippe über die freien Tage!